Ein neues Wahrzeichen für Biel

Swatch hat mit ihrem neuen Hauptsitz in Biel eines der weltweit grössten Holzgebäude erhalten. Realisiert wurde das Bauwerk mit der schimmernden geschwungenen Silhouette des japanischen Stararchitekten Shigeru Ban vom Ostschweizer Holzspezialisten Blumer Lehmann.

In Zusammenarbeit mit Architekturbüros wie Foster + Partners, Shigeru Ban Architects oder Herzog & de Meuron realisiert Blumer Lehmann Holzbauten auf der ganzen Welt. Das Unternehmen aus der Ostschweiz ist spezialisiert auf die digitale Fertigung von frei geformten Holzbauten und gilt wegen seines Know-hows und seiner umfassenden Erfahrung als der Spezialist überhaupt. Diese Holzkonstruktion ist bereits das vierte Projekt, das in Zusammenarbeit mit Shigeru Ban, Gewinner des Pritzker-Preises 2014, realisiert worden ist.

Das im Herbst 2019 eröffnete Headquarter von Swatch ist nicht mehr aus Biel wegzudenken. Der Entwurf von Shigeru Ban bricht mit den Konventionen klassischer Bürohaus-Architektur und fügt sich harmonisch in die städtische Umgebung ein. Möglich macht dies ein Freiformtragwerk aus einer riesigen Holzgitterschale. Sie verbindet die Gebäude Swatch und Cité du Temps, u.a. sind hier die Museen der Marken Omega und Swatch untergebracht.

Die insgesamt drei Gebäude, dazu gehört auch das früher fertig gestellte Fabrikationsgebäude für die Marke Omega, entwarf Shigeru Ban in unterschiedlichen Holzbautechniken. Dem Architekten erschien die Verwendung von Holz angesichts der ökologischen Nachhaltigkeitsziele und inspiriert durch die ansässige renommierte Bieler Fachhochschule für Architektur und Holzbau als logische Konsequenz. Im Swatch-Neubau, der sich gleich neben dem ersten Swatch Drive-Thru-Store befindet, ist die gesamte Verwaltung bis hin zum Lagerraum untergebracht. Der Neubau windet sich dem Fluss entlang, überspannt die neue Nicolas G. Hayek Strasse und dockt auf dem Dach der neuen Cité du Temps an. Ein gitterförmiges Tragwerk aus Holz bildet das Dach mit einer Länge von 240 m, einer Maximalspannweite von 35 m und einer Höhe von 27 m. Überspannt wird die Tragstruktur von einer Hülle aus verschiedenen Fassadenelementen. Aussen wie innen durchziehen verschiedene Leitmotive die Architektur des Gebäudes mit geschwungenen Formen, Farben und Transparenz.

 

«Das ist im Holzbau alles machbar»

Für Blumer Lehmann ist diese Konstruktion mit einer Fläche von 11 000 m2 die bisher grösste Gitterschale, die je realisiert wurde. «Die Form und die einzelnen Träger sind riesig und die Anforderungen an die Genauigkeit waren sehr hoch. Doch das ist im Holzbau alles machbar,» so Felix Holenstein, Projektleiter von Blumer Lehmann für das Swatch-Projekt. «Eine Herausforderung brachte jedoch die Entscheidung mit sich, die haustechnischen Leitungsführungen diskret in die Tragwerksebene zu legen.»

Zuvor war die Form in einer dreijährigen Planungsphase auf ihre Machbarkeit geprüft und die Geometrie der Träger definiert worden. Die 4’600 Trägerelemente der gitterförmigen Tragstruktur sind alles Unikate. Moderne 3D-Technologie hatte während der Planung dabei geholfen, die genaue Form und Positionierung der Träger der Holzgitterschale zu definieren. Basierend auf das 3D-Modell wurden drei verschiedene Rohlinge aus Brettschichtholz definiert. Durch die Parametrisierung konnten auch die über 16’000 Stahlteile und 140’000 Verbindungsmittel auf einige wenige Typen heruntergerechnet werden.

Um den Montagetermin einzuhalten, wurden die Trägerelemente auf fünf verschiedenen Produktionsanlagen, teilweise in vier Schichten – gefertigt. Welche Bauteile wo produziert wurden, musste frühzeitig festgelegt werden, um das richtige Rohmaterial und die Produktionsdaten passend für die jeweiligen Maschinen verfügbar zu halten. Die unterschiedlichen Krümmungen der bis zu 13 m langen Rohlinge erschwerten die Lagerung. Die Lagerung musste ebenfalls mit grosser Genauigkeit geplant und vorbereitet werden. Zum Einsatz kam nur Holz aus Schweizer Wäldern, davon hauptsächlich Fichtenholz. Insgesamt wurden knapp 1’997 Kubikmeter benötigt – eine Menge, die im Schweizer Wald in weniger als 2 Stunden wieder nachwächst.

 

Anspruchsvolle Montage

«Die grösste Herausforderung war es, die richtigen Teile zur richtigen Zeit auf der Baustelle zu haben», erinnert sich Projektleiter Felix Holenstein. «Das wäre ohne eine dreidimensionale Planung an einem 3D-Modell gar nicht möglich gewesen.»

Bevor die Teile auf der Baustelle montiert werden konnten, wurde von Blumer Lehmann ein Leergerüst erstellt und anhand der Messdaten aus dem 3D-Modell die Auflagerpunkte exakt definiert. Die Hilfskonstruktion diente dazu, die Hauptkonstruktion bis zur Fertigstellung zu stützen und erlaubte später, die Installationen und die Fassadenarbeiten mit rund 2800 Wabenelementen, die aus bis 50 Bestandteilen massgeschneidert wurden, auszuführen. Während der gut neunmonatigen Montagephase musste die Strasse vor dem Zentralgebäude auch für den Verkehr befahrbar bleiben. Daher wurde in fast 13 m Höhe eine zusätzliche Plattform als Montagetisch erstellt, von der aus die Monteure arbeiten konnten. Die eigentliche Gitterschale bauten die Gossauer Spezialisten in 13 aufeinanderfolgenden Etappen auf. Zuerst wurden die Schwellenelemente verankert. Danach konnte von unten nach oben aufeinander zu gearbeitet werden, um in der Mitte zusammenzutreffen. «Wichtig war, dass wir fortlaufende Kontrollen mit dem Tachymeter machten, damit wir gegebenenfalls Aufsummierungen von Differenzen hätten ausgleichen können», erinnert sich Stefan Bischoff, Montageleiter bei Blumer Lehmann. Auch wenn alles vorher haargenau geplant und berechnet war, blieb die Spannung speziell bei der ersten Etappe hoch – bis die beiden Flanken schliesslich millimetergenau aufeinandertrafen. Nach fast fünf Jahren Bauzeit konnte Swatch mit dem neuen Gebäude ein neues Kapitel in der Geschichte der Marke einläuten. Es fordert, genau wie die Uhren, die hier hergestellt werden, aktuelle Konventionen heraus.

Stephanie Steinmann

als freischaffende Bloggerin in Männedorf ZH tätig