horgenglarus: ein Stück Schweizer Kulturgut

Sie begleiten uns im Alltag – ein Leben lang. Ob SAC-Hütte, Kronenhalle, Kirche, Bundeshaus oder Familienwohnung: Die Stühle und Tische von horgenglarus gehören zur Schweiz wie die Bahnhofsuhr von Mondaine, die Freitagstaschen oder die Helvetica-Schrift. Die Stuhl- und Tischmanufaktur – ag möbelfabrik horgenglarus – wurde 1880 in Horgen gegründet und produziert seit 1902 ausschliesslich im Glarner Hauptort. lifetimedesign hat den Geschäftsführer Urs Tschopp zum Gespräch getroffen.

lifetimedesign: Urs, von aussen betrachtet liegt die DNA von horgenglarus in einer einzigartigen Mischung aus Handwerk, Qualität, Design und Swissness. Gibt es noch weitere Faktoren, die horgenglarus prägen?

Urs Tschopp: Die Grundparameter stimmen. Was das Design betrifft, so sind wir in der klassischen Moderne verwurzelt. Ein weiterer Aspekt, der für uns sehr wichtig ist, ist das Thema Nachhaltigkeit. Beispielsweise beziehen wir seit jeher alle Materialien, die im Inland erhältlich sind, in der Schweiz und in Kombination mit dem zeitlosen Design schaffen wir langlebige Stücke. Was ebenfalls dazugehört, ist die Geschichte. horgenglarus hat einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Schweizerischen Möbeldesigns geleistet. Dazu zählen nicht nur die Stühle, die in Zusammenarbeit mit den stilprägenden Schweizer Gestaltern wie Werner Max Moser, Max Ernst Häfeli oder beispielsweise Jürg Bally entstanden sind, sondern auch Werksentwürfe wie das Stuhlmodell «Classic».

lifetimedesign: Man kennt horgenglarus vor allem aus dem Projektbereich. Wie wichtig sind die Privatkunden für das Unternehmen?

Urs Tschopp: Das Projektgeschäft ist betriebswirtschaftlich gesehen wichtiger, obwohl die Modelle von horgenglarus im Projekt- und im Privatbereich vielfältig einsetzbar sind. Unsere Stühle sind in SAC-Hütten, in urbanen Restaurants, in minimalistischen Wohnbauten oder im Vintage-Wohnzimmer einer jungen Familie vertreten und das Schöne ist: In ihrer Schlichtheit leisten die horgenglarus-Stühle immer einen positiven Beitrag zur Ausstrahlung des Raumes.

lifetimedesign: horgenglarus ist stark in der Schweiz verankert. Wie sieht es mit Exporten aus?

Urs Tschopp: Unsere Stücke sind in der ganzen Welt vertreten. Es gibt Restaurants in New York oder Shanghai, die mit horgenglarus-Stühlen eingerichtet wurden. Doch während die Marke horgenglarus in der Schweiz ein Begriff ist, ist horgenglarus international gesehen primär einem Fachpublikum bekannt.

lifetimedesign: Wie läuft der Innovationsprozess bei horgenglarus?

Urs Tschopp: horgenglarus bringt nicht in regelmässigen Abständen neue Produkte auf den Markt. Wenn neue Produkte entwickelt werden, haben wir aber den Anspruch, dass diese in allen Dimensionen perfekt sind. Dazu soll die Herkunft spürbar und das Handwerk sichtbar sein. Häufig ist bei uns der Innovationsprozess oder der Produktentwicklungsprozess, wie wir es nennen, ein sehr langer Prozess zusammen mit dem Designer, bei dem etwas entsteht. Manchmal diskutieren wir ganz unverbindlich mit einem Gestalter und wir merken, dass es Sinn machen würde, für einen speziellen Bereich einen Stuhl, eine Stuhlfamilie oder einen Tisch zu entwickeln. Dann initiieren wir gemeinsam die Entwicklung. Es ist nicht so, dass wir aus einem Druck in einen solchen Prozess gehen, aus einer Situation, in der man das Ziel verfolgt, ein Produkt xy auf einen bestimmten Zeitpunkt hin zu entwickeln und lancieren.

lifetimedesign: Wir sitzen jetzt beispielsweise leger auf einem farbigen Sessel. Ich nehme an, dass dies eine neuere Entwicklung ist? Er verbindet zwar Design und Funktion optimal, aber aus der langfristigen Perspektive betrachtet, kommt er auch sehr zeitgeistig daher…

Urs Tschopp: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Der «Seley» vom Designer Frédéric Dedelley ist ein Entwurf aus dem Jahre 2019, der viele klassisch-konstruktive Attribute von früheren Modellen aufweist und somit nahtlos in die Reihe der horgenglarus-Entwürfe passt. Gleichzeitig hat sich der Designer mit dem Thema «Wie sitzt man heute?» auseinandergesetzt. Das Modell ist als Stuhl, Sessel oder Bank und in verschiedenen Farben erhältlich.

lifetimedesign: Gibt es auch Modelle, die wieder rausfallen?

Urs Tschopp: Ja, auch das gibt es. In den letzten 10 bis 15 Jahren haben wir unser Portfolio konsequent auf unsere Markenidentität ausgerichtet. Der Vorteil einer kleinen Manufaktur, wie wir es sind, ist, dass wir Stühle wieder nachproduzieren könnten, wenn ein Bedarf da wäre.

lifetimedesign: horgenglarus ist ein Unternehmen mit einer langen Tradition. Gibt es Stücke, an denen man den Wandel der Esskultur erkennt?

Urs Tschopp: Absolut, man sieht es an den Hochtischen beispielsweise, oder eben an den Sesseln, die auf den Bedürfnissen von heute ausgerichtet sind. Der Stuhl ist eines der ältesten Möbelstücke überhaupt. Aber im Detail gab es immer wieder ergonomische Anpassungen; die Sitzhöhen wurden den neuen Standardgrössen entsprechend aktualisiert. Auch wurden Stühle angepasst, um legeres Sitzen zu ermöglichen. Daneben bieten wir als Manufaktur auch viele Möglichkeiten der Individualisierung an wie beispielsweise die Stuhlhöhe oder die Höhe der Armlehne.

lifetimedesign: Wenn man sich mit horgenglarus beschäftigt, hat man das Gefühl, dass das Unternehmen zwar mit der Zeit geht, sich aber gar nicht gross um Trends kümmern muss, weil es sich auf elementare Bedürfnisse und im Design auf die klassische Moderne fokussiert. Stimmt dieser Eindruck?

Urs Tschopp: Ja, das ist so. Es gibt immer wieder neue Anforderungen. Beispielsweise, was die Nachhaltigkeit und insbesondere die Herkunft der Materialien betrifft, aber unsere Produkte verändern sich dadurch nicht grundlegend.

lifetimedesign: Welches Stück ist dein persönlicher Favorit?

Urs Tschopp: Ich habe gleich mehrere Favoriten. Es gibt Modelle, die einfach sehr bequem sind – oder aber unseren «Classic». Daran fasziniert mich, dass er vor über 100 Jahren – 1918 – als Werksentwurf entwickelt wurde. Er ist bis heute überaus beliebt und das Design wird der heutigen Zeit immer noch gerecht. Ein zweites Stück, dass ich ganz besonders mag, ist das Modell «Select». Das ist ein Entwurf von Werner Max Moser aus dem Jahre 1934. Der Stuhl wurde für das legendäre Café Select am Zürcher Limmatquai entwickelt. Das Select wurde zum Lieblings-Café von Schriftstellern, Schauspielern, Architekten und Intellektuellen. Die gebogene Lehne des Select ermöglichte schon damals viel Bewegungsfreiheit im Sitzen.

lifetimedesign: Urs Tschopp, besten Dank für das Gespräch.

 

Stephanie Steinmann

als freischaffende Bloggerin in Männedorf ZH tätig